Praxis fragt Wissenschaft
Stellen Sie uns Ihre Frage – wir antworten
Auf dieser Seite finden Sie Antworten auf Fragen, die Sie immer schon mal wissen wollten oder sich noch nie gestellt haben. In unserem N[EW]sletter-Format „Praxis fragt Wissenschaft“ beantworten die Wissenschaftler:innen der erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität Hamburg Fragen aus der Community.
Haben Sie auch eine Frage aus dem weiten Feld von Bildung, Erziehung und Lernen, die Sie gerne von unseren Wissenschaftler:innen beantwortet haben möchten? Schicken (wissenschaftskommunikation.ew"AT"uni-hamburg.de)Sie uns Ihre Frage! Wir wählen aus allen eingesendeten Vorschlägen für den aktuellen Newsletter je eine Frage aus und suchen die passende Person aus der Fakultät für Erziehungswissenschaft für die Beantwortung.
Mehrere Studien belegen, dass Schüler:innen immer schlechter lesen können und privat auch weniger lesen. Sollte im Unterricht deshalb mehr auf Hörbücher zurückgegriffen werden?
Dr. Christoph Jantzen: “Studien, die die langfristige Entwicklung von Lesekompetenzen und Leseverhalten untersuchen, kommen zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. Je nach Anlage der Studie und dem untersuchten Zeitraum lesen Schüler:innen in Deutschland oder Hamburg "früher“ (wann auch immer das war) besser oder auch schlechter. Die private Lesehäufigkeit kann zudem kaum geprüft werden und oft beziehen sich die Untersuchungen vor allem auf gedruckte Buch- und Zeitschriftentexte bzw. lassen das Lesen in digitalen Medien wie Internet und E-Books außen vor.
ABER: Hörbücher (in aller Regel literarische Hörbücher, seltener Sachbücher) sind literaturdidaktisch als eigene mediale Gattung relevant, bedeutsam und interessant. In diversen Bildungsplänen sind sie seit vielen Jahren als Teil schulischer Bildung verankert. Literarisches Lernen ist wunderbar mit Hörbüchern möglich.
Zum Lesen gehören viele Bereiche, u.a. Lesetechniken, Leseflüssigkeit, Lesemotivation oder die Fähigkeit zur Anschlusskommunikation. Unter anderem für Kinder, denen die lesetechnische Ebene (noch) Schwierigkeiten bereitet, werde schon vielfach Hörtexte eingesetzt. Dies ist vor allem auch als individualisierender Einsatz seit langem etabliert und in verschiedenen Schulen auch gängige Praxis. In einer Kooperation der Hamburger Bücherhallen und der Universität Hamburg (vertreten durch Petra Hüttis-Graff) werden seit Jahren erfolgreich Lese-Hör-Kisten für Vor- und Grundschulen zusammen- und bereitgestellt (siehe https://www.ew.uni-hamburg.de/forschung/transfer/forschung-transfer/steckbriefe-data/transfer-projekt-52.html ). So können Kinder früh Literacy-Erfahrungen sammeln.”
Dr. Christoph Jantzen ist wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Didaktik der deutschen Sprache und Literatur in der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
Warum ist es wichtig, Mädchen für die Informatik zu begeistern und wie können wir das schaffen?
Prof. Dr. Sandra Schulz: Im Jahr 2018 begannen insgesamt 1.300 Frauen eine Berufsausbildung in der Informatik – hingegen waren es mit 15.000 mehr als zehnmal so viele Männer. Dieser sogenannte Gender Gap ist weit verbreitet und hält sich hartnäckig. Die Motivation mehr Frauen für Informatikberufe zu gewinnen ist jedoch nicht nur eine Frage der Chancengleichheit. In einem Zeitalter, in dem der Alltag aller Personen maßgeblich von Algorithmen geprägt ist, kommt das Geschlechterverhältnis in der Informatik besonders zum Tragen. Es gibt viele Beispiele für sogenannte Diskriminierende Algorithmen. Der Grund für ihre Entstehung ist nicht böse Absicht, sondern eher eine fehlende Diversität in Teams, die Algorithmen entwickeln.
Um dem Gender Gap entgegenzuwirken, müssen daher Maßnahmen ergriffen werden. Das Fachinteresse von Schülerinnen und Schülern prägt sich bereits in der Grundschule aus. Somit müssen Angebote zur Förderung von Interesse und Zugang geschaffen werden, schon zeitig ansetzen und kontinuierlich fortgesetzt werden. Das Pflichtfach Informatik, ab 2024/25 auch in Hamburg eingeführt, ist eine wichtige Voraussetzung, um die Teilhabe an der digital vernetzten Welt zu ermöglichen. Weitere wichtige Maßnahmen in diesem Zusammenhang sind: 1.) die Vermittlung eines realistischen Bildes der Informatik, 2.) die Integration von Role Models bereits in der Grundschule, 3.) die Nutzung verschiedener Unterrichtsansätze und Lerngegenstände, die verschiedene Geschlechter ansprechen, ohne zu stigmatisieren. Mit Lehramtsstudierenden legen wir deshalb besonderen Wert darauf, ein Bewusstsein für den Gender Gap zu schaffen und Maßnahmen für die Entgegenwirkung an die Hand zu geben.
Prof. Dr. Sandra Schulz ist Juniorprofessorin in der Didaktik der Informatik an der Fakultät für Erziehungswissenschaft.
Sind alle Autist:innen hochbegabt?
Die Aktivistin Greta Thunberg und der im Internet als einer der klügsten Menschen der Welt gefeierte Daniel Tammet könnten diesen Eindruck erwecken. Das ist jedoch eine sehr romantisierende und pauschal verallgemeinernde Sicht. Als Erwartungshaltung kann sie das Leben Betroffener noch zusätzlich erschweren. Das gilt auch für das Vorurteil, sie mögen Zahlen und seien von Mathematik begeistert. In Wirklichkeit begeistern sie sich jedoch vielleicht für Biologie, Geschichte oder Literaturwissenschaft. Das Spektrum von Personen im Autismus-Spektrum reicht von schwerwiegender geistiger Behinderung und fehlendem Sprachvermögen bis hin zu Autismus ohne Intelligenzminderung und ohne Sprachprobleme.
Bis zu 83 Prozent der Personen, bei denen eine Autismus-Spektrum-Störung (ASS) diagnostiziert wurde, haben einen IQ unter 85. Circa 56 Prozent gelten als geistig behindert. Nur etwa 3 Prozent haben einen IQ über 115. Das kognitive Leistungsvermögen von Personen, bei denen ein „Asperger-Syndrom“ diagnostiziert wurde, liegt eher im Durchschnittsbereich. Bei wenigen Ausnahmen wurden überdurchschnittliche IQ-Werte gemessen. Zu ihnen zählen Greta Thunberg und Daniel Tammet.
Prof. Dr. André Zimpel ist Professor für den Förderschwerpunkt geistige Entwicklung und forscht zum Lernen von Menschen im Neurodiversitätsspektrum.