2013-2016: Intuition und Emotion beim Urteilen und Entscheiden in Kontexten Nachhaltiger Entwicklung (DBU)
Junge Menschen sollen heute und in Zukunft schwerwiegende Gestaltungsprobleme lösen können: Klimawandel, Entscheidungen über die Risiken von Alltagstechnologien oder Begrenztheit natürlicher Ressourcen machen es erforderlich, über Gestaltungskompetenzen im Sinne einer Bildung für nachhaltige Entwicklung (BnE) zu verfügen. BnE ist aber kein Unterrichtsfach, sondern soll sowohl in formellen als auch in informellen Bildungssektoren relevant sein. Die Förderung sogenannter Bewertungskompetenz als Teil einer umfassenden Gestaltungskompetenz (de Haan, 2004) wird zum expliziten Ziel der naturwissenschaftlichen Fachdidaktiken. Die Binnenstruktur von Bewertungs- oder auch Urteilskompetenz ist aber noch nicht ausreichend durch empirische Forschung verstanden worden. Dies wäre aber eine Voraussetzung, um wirksame und forschungsbasierte Bildungsangebote machen zu können. Das Forschungsprojekt will einen namhaften Beitrag dazu leisten.
Bereits entwickelte Kompetenzmodelle, die das Konstrukt Bewertungskompetenz modellieren, gehen davon aus, dass Menschen selbst in Alltagssituationen vorrangig rational entscheiden. Dem entgegen stehen Erkenntnisse der Umwelt- und Entscheidungspsychologie, die von Zwei-Prozess-Modellen ausgehen: Menschen entscheiden nur in bestimmte Kontexten durch rationales Abwägen von Argumenten. Stattdessen fällen sie ihre Urteile häufig auf holistisch-intuitive Weise. Sie sind dabei von Emotionen geleitet und rechtfertigen die so gefällten Urteile bestenfalls post-hoc auf rationale Weise. Pädagogisch-didaktische Versuche der Förderung von Bewertungskompetenz müssten diesen Umstand konsequent berücksichtigen, um ihre Erfolgsaussichten zu maximieren. Es bedarf der forschungsbasierten Weiterentwicklung von Modellen der Bewertungskompetenz. Genau dies ist das Ziel des Projekts.
Im Promotionsprojekt von Hannes Sander soll ein heterogenes Sample von Schülerinnen und Schülern mit Dilemmata, die eine Entscheidung erforderlich machen, konfrontiert werden. Die Dilemmata werden in Form kurzer Videovignetten präsentiert und sollen einen Nachhaltigkeitsbezug aufweisen. Die Kontexte der Dilemmata werden systematisch variiert, um entweder eher rationales oder eher intuitives Urteilen zu evozieren. Die Probandinnen und Probanden werden dabei ähnlich wie in klinischen Interviews dazu aufgefordert, ihre Gedanken und Gefühle fortwährend zu verbalisieren (lautes Denken). Das Datenmaterial wird kategorien-basiert ausgewertet und mit Hilfe der Dokumentarischen Methode im Hinblick auf die Orientierungsrahmen der Probandinnen und Probanden analysiert, um die Binnenstruktur realer Urteilsprozesse zu rekonstruieren. Auf der Basis dieser Analysen werden etablierte Kompetenzmodelle um Dimensionen und Ausprägungen ergänzt, die die Möglichkeit unterschiedlicher Typen des Urteilens und Entscheidens systematisch abbilden. Dieses neu entwickelte Modell soll sowohl Impulse zur weiteren Forschung im Bereich der naturwissenschaftlichen Bewertungskompetenz als auch zur weiteren Evidenz-basierten Unterrichtsentwicklung im Sinne einer BnE liefern.
Das Projekt wird mit einem Promotionsstipendium der Deutschen Bundesstiftung Umwelt gefördert.
Zugehörige Publikationen:
Sander, H. & Höttecke, D. (2018). Orientierungen von Jugendlichen beim Urteilen und Entscheiden in Kontexten nachhaltiger Entwicklung. Zeitschrift für Didaktik der Naturwissenschaften. DOI: 10.1007/s40573-018-0076-9
Sander, H. (2017). Orientierungen von Jugendlichen beim Urteilen und Entscheiden in Kontexten nachhaltiger Entwicklung. Eine rekonstruktive Perspektive auf Bewertungskompetenz in der Didaktik der Naturwissenschaften. Berlin: Logos, http://www.logos-verlag.de/ebooks/OA/978-3-8325-4434-8.pdf (31.03.2017).
Sander, H. & Höttecke, D. (2016). Rekonstruktion der Kontexteinflüsse beim Urteilen und Entscheiden. In Chr. Maurer (Hrsg.), Authentizität und Lernen - das Fach in der Fachdidaktik. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik Jahrestagung in Berlin 2015 (S. 235-237), http://gdcp.de/images/tagungsbaende/GDCP_Band36.pdf (07.03.2016).
Sander, H. & Höttecke, D. (2016). Students' decision-making on issues of sustainability – beyond rational choice theorey. In J. Lavonen, K. Juuti, J. Lampiselkä, A. Uitto & K. Hahl (eds.), Science Education Research: Engaging Learners for a Sustainable Future (Proceedings of ESERA 2015) Part 7, Strand 7, Discourse and argumentation in science education (pp. 1004-1011), http://www.esera.org/media/eBook%202015/eBook_Part_7_links.pdf (27.04.2016).
Sander, H. & Höttecke, D. (2016). Orientierungen von SchülerInnen beim Urteilen und Entscheiden in Kontexten nachhaltiger Entwicklung. In J. Menthe, D. Höttecke, T. Zabka, M. Hammann & M. Rothgangel (Hg.), Befähigung zu gesellschaftlicher Teilhabe. Beiträge der fachdidaktischen Forschung (S. 159-170). Münster: Waxmann.
Seefleld, R., Sander, H. & Höttecke, D. (2016). Klimawandel bewerten: Tiefenstrukturanalyse einer Gruppendiskussion. In Chr. Maurer (Hrsg.), Authentizität und Lernen - das Fach in der Fachdidaktik. Gesellschaft für Didaktik der Chemie und Physik Jahrestagung in Berlin 2015 (S. 449-451), http://gdcp.de/images/tagungsbaende/GDCP_Band36.pdf (07.03.2016).
Sander, H. & Höttecke, D. (2015). Urteilen und Entscheiden in Kontexten nachhaltiger Entwicklung [Judgment and decision-making in context of sustainable development]. In S. Bernholt, Heterogenität und Diversität - Vielfalt der Voraussetzungen im naturwissenschaftlichen Unterricht (S. 241-243), GDCP-Jahrestagung in Bremen 2014. Kiel: IPN, http://www.gdcp.de/images/tagungsbaende/GDCP_Band35.pdf (01.03.2015).
Sander, H. & Höttecke, D. (2015). Bewertungskompetenz in der Physikdidaktik: Zwischen Rationalität und Intuition. In A. Budke, M. Kuckuck, M. Meyer, F. Schäbitz, K. Schlüter & G. Weiss, Fachlich argumentieren lernen (S. 167-181). Münster: Waxmann.
Sander, H. & Höttecke, D. (2014). Intuition und Emotion beim Urteilen und Entscheiden. In S. Bernholt, Naturwissenschaftliche Bildung zwischen Science- und Fachunterrich, GDCP-Jahrestagung in München 2013 (S. 525-527). Kiel: IPN.
Sander, H. & Höttecke, D. (2014). Vignetten zur qualitativen Untersuchung von Urteilsprozessen bei SchülerInnen. PhyDid B - Didaktik der Physik - Beiträge zur DPG-Frühjahrstagung, http://phydid.physik.fu-berlin.de/index.php/phydid-b/article/view/502 (19.12.2014).
Vorträge und Poster im Rahmen des Projekts
- Sander, H. (2017), Vortrag anlässlich der Verleihung des GDCP-Nachwuchspreises, GDCP-Jahrestagung Regensburg 19. September 2017
- Sander, H. & Höttecke, D. (2015), Vortrag zum Promotionsprojekt auf dem Forschungsworkshop des LeNa-Netzwerkes, Universität Hildesheim, 26.6.2015
- Sander, H. & Höttecke, D. (2015), Workshop "Die dokumentarische Methode in der fachdidaktischen Forschung" am AECC Chemie Wien, 18.-19. März 2015.
- Sander, H. & Höttecke, D. (2015), Planspiel "Flugobst" im Rahmen der Tagung "Umweltbildung für nachhaltige Entwicklung im Kontext bestehender Netzwerke" (NAWI Netzwerk Wien, IMST, ÖKOLOG, BMBF), 17. März 2015 in Wien.
- Sander, H. & Höttecke, D. (2014), Urteilen und Entscheiden in Kontexten nachhaltiger Entwicklung. Vortrag auf der Jahrestagung der GDCP in Bremen, September 2014.
- Sander, H. & Höttecke, D. (2014), Vignetten zur qualitativen Untersuchung von Urteilsprozessen bei SchülerInnen. Poster präsentiert auf der Jahrestagung des Fachverbands Didaktik der Physik 2014 in Frankfurt, März 2014.
- Sander, H. (2013), Intuition und Emotion beim Urteilen und Entscheiden in Kontexten Nachhaltiger Entwicklung. Vortrag auf dem Dokorandenkolloquium der GDCP in Kassel vom 11.-13.10.2013.
- Sander, H. & Höttecke, D. (2013), Intuition und Emotion beim Urteilen und Entscheiden. Poster präsentiert auf der Jahrestagung der GDCP in München, September 2013.