Lebenslange Bildung in anderen Ländern und was wir daraus lernen können
27. April 2023, von Katrin Steinvoord
Foto: @Bildungsschnack
Prof. Dr. Anke Grotlüschen und Werner Mauch berichten in dieser Folge wie Erwachsenenbildung in einem internationalen Kontext umgesetzt wird. Werner Mauch ist ehemaliger Leiter des UNESCO-Instituts für Lebenslanges Lernen und gibt einen spannenden Einblick in die Verzahnung von Wissenschaft, Praxis und Politik. Prof. Dr. Anke Grotlüschen, aus dem Arbeitsbereich „Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen“ unterstützt dies mit Einblicken in eine international durchgeführte Erwachsenenbildungsstudie, die sich mit Barrieren und positiven Umsetzungsmöglichkeiten von Lebenslangem Lernen auseinandersetzt.
Weiterführende Informationen
In dieser Folge spreche ich mit Prof. Dr. Anke Grotlüschen, die an der Fakultät für Erziehungswissenschaft im Arbeitsbereich Berufliche Bildung und Lebenslanges Lernen arbeitet. Zu Gast ist deises mal ein externer Kooperationsparterner: Werner Mauch. Es war bis Anfang 2023 Leiter des weltweit agierenden UNESCO-Instituts für Lebenslanges Lernen.
Schriftliche Zusammenfassung (barrierefrei)
Zusammenfassung des Podcast Bildungsschnack, im April 2023: Dies ist eine schriftliche Zusammenfassung des Gespräches und darf ausschließlich nach Abstimmung mit der Urheberin (Fakultät für Erziehungswissenschaft, UHH) weiterverwendet werden.
Wie Lebenslange Bildung in anderen Ländern funktioniert und was wir daraus lernen können
Schlagworte: Lebenslanges Lernen, Internationale Forschung, UNESCO-Institut
Moderation: Dr. Katrin Steinvoord
Intro
Herzlich Willkommen zu einer neuen Folge unseres Podcast Bildungsschnack. Wie jeden Monat wollen wir auch heute ein spannendes Forschungsprojekt aus der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg unter die Lupe nehmen.
In dieser Folge habe ich Frau Prof Dr. Anke Grotlüschen und Werner Mauch zu Gast (sinngemäße Zusammenfassung des Gesprächs):
UNESCO-Institut für Lebenslanges Lernen
Nach einer kurzen Begrüßung wird der fakultätsexterne Gast Werner Mauch vorgestellt: Er war bis Anfang dieses Jahres der Leiter des UNESCO-Instituts für Lebenslanges Lernen (UIL). Das UIL ist zuständig für die theoretische und praktische Bildungsarbeit für Erwachsene weltweit. Dabei handelt es sich um die Dachorganisation eines weltweit agierenden Netzwerks von Mitgliedsstaaten. Das UIL hat vorrangig eine beratende Funktion: Was können/sollten die Mitgliedsstaaten machen, um Erwachsenenbildung (besser) zu etablieren. Alle 12 Jahre treffen sich die Mitgliedsstaaten dazu auf einer Weltkonferenz und entwickeln, beraten und beschließen Leitlinien, wie die Erwachsenenbildung politisch und praktisch organisiert werden soll. Die Umsetzung erfolgt dann in den Mitgliedsstaaten und wird wiederum vom UIL kontrolliert. Dieses Monitoring findet alle drei Jahre statt und beinhaltet die Selbstberichte aus den Mitgliedsstaaten und eine Analyse zum Status quo. Ein Beispiel aus dem Aktionsplan ist: Bildung gegen Klimawandel steht an oberster Stelle. Dem wird hier eine besondere Bedeutung beigemessen.
Globale Erwachsenenbildungsstudie
Prof. Dr. Anke Grotlüschen und das internationale Team ist mit zwei Fragen an die „Globale Erwachsenenbildungsstudie“ herangegangen.
1. Welche Hindernisse gibt es bei der Implementierung von Erwachsenenbildung?
2. Welche effektiven Strategien gibt es, um (auch in Krisensituationen) Erwachsenenbildung zu etablieren?
Ein Beispiel der Verzahnung der beiden Kooperationspartner:innen in diesem Podcast zeigt sich dabei, dass der Aktionsplan „Bildung gegen Klimawandel“ in den Fokus stellt und dieser Fokus in der Studie aufgegriffen werden konnte.
Die Initiative dieser Studie ging vom Deutschen Volkshochschulverband international (DVVI) aus. Dieser Verband ist in 30 Ländern der Welt vertreten. Gemeinsam mit Forscher:innen aus den USA und Australien ist Prof. Dr. Anke Grotlüschen angetreten, um die obigen Forschungsfragen in insgesamt acht Ländern zu verfolgen: Indien, Thailand, Australien, Südafrika, Kirgistan, Ukraine, Jordanien und Brasilien.
In diesen acht Ländern wurden Fokusgruppen zusammengestellt (mit Hilfe auch des DVVI). Mitglieder dieser Fokusgruppen waren Verbandsvertreter von Bildungseinrichtungen, Zuständige für Erwachsenenbildung aus den Ministerien und teilweise Wissenschaftler:innen. Diese Fokusgruppen wurden interviewt.
Ergebnisse: Besonders im Fokus standen in vielen Ländern bei den Hindernissen der Klimawandel. Riesige Probleme mit Buschfeuern oder Überschwemmungen wurden genannt und das – als Folge davon – Erwachsenenbildung vor großen Hürden stand. Dann gab es ebenfalls viele Schwierigkeiten bei den Lockdowns währen der Covid-19-Pandemie, weil alle Einrichtungen etc. geschlossen waren und v.a. die institutionalisierte Erwachsenenbildung bei geschlossenen Türen nicht wie gewohnt stattfinden konnte. Des Weiteren wurden kriegerische Auseinandersetzungen (hier v.a. in der Ukraine auch mit Auswirkungen auf andere Länder) als großes Hindernis in der Erwachsenenbildung genannt. In einigen Ländern sind auch die populistischen politischen Führungen (Indien und Brasilien) massive Hemmnisse für die Umsetzung einer gut funktionierenden Erwachsenenbildung.
Diese Ergebnisse wiederum fließen in die alle drei Jahre erscheinenden UNESCO-Berichte ein. Solche Studien dienen hierbei zur Darstellung der Erwachsenenbildung weltweit und sind immer auch ein Abgleich zum derzeit gültigen Aktionsplan. Dabei betont Werner Mauch: „Das Zusammenbringen von Politik, Forschung und Praxis ist das A und O“ bei der Arbeit des UIL.
Bei den Strategien haben die Forscher:innen ebenfalls einige spannende Ergebnisse gefunden: Vor allem bezogen auf das so genannte Meso-Level, werden hier viele Strategien offenbar (Makro-Level: Politik/Bildungsministerien, Mikro-Level: Bildungsanbieter vor Ort). In diesem Zwischenraum passiert eine ganze Menge. Hier wird das politische Interesse des Mikro-Levels zusammengetragen und gebündelt. Es wird gefragt: Was braucht ihr, damit es funktioniert? Über diese Bündelung wird das politische Interesse dann (meist über Verbandsvertreter), an die Ministerien artikuliert. Beispiele für diese Forderungen sind z.B.: „Wir brauchen ein Qualitätsmanagement für unsere Programme“ oder „Wir brauchen eine Ausstattung für die Qualifizierung von beruflicher Weiterbildung.“ oder „Wir brauchen eine Alphabetisierung, die über die reine Bewältigung des Alltagslebens hinausgeht.“ Diese Artikulation der Wünsche wird dann im günstigsten Fall in Richtung einer Gesetzgebung durch die Ministerien vorangetrieben (Beispiel hier: Ukraine) oder zumindest in Absichtserklärungen und Strategiepapieren verfasst. Wenn man sich den Bildungszusammenhang Schule anschaut, dann können sich viele Menschen überhaupt nicht vorstellen, so Frau Grotlüschen, welche Schwierigkeiten Erwachsenenbildung zu überwinden hat. So etwas wie Schulpflicht, feste Klassenräume, verbeamtete Lehrkräfte oder festgeschriebene Curricula, gibt es dort nicht. Den oben beschriebenen Meso-Level gibt es in allen acht untersuchten Ländern und wird dort auch als besonders wichtig wahrgenommen. Die gewählten Vertreter dieser Gruppen haben eine sehr große Schlagkraft. Sie werden gesehen und haben großen Einfluss, auch auf die politische Umsetzung. Mit engagierten Vertretern auf dieser Zwischenstufe steht und fällt also oft eine gelungene Umsetzung von Erwachsenenbildung.
Quer dazu hat sich, je heftiger die Krise zugeschlagen hat oder je heftiger der Populismus wurde, die Erwachsenenbildungsstruktur auf dem Mikro-Level ausgebildet und formiert. Hier konnte man deutliche Tendenzen einer sich dann herauskristallisierenden Selbstorganisation erkennen (ohne Hoffnung auf Unterstützung von der Politik). Ein Beispiel kommt hier aus Südafrika: Dort führte der Lockdown während der Covid-19-Pandemie sofort zu Hunger in den Townships, eine große Ernährungsunsicherheit manifestierte sich sehr zügig. Die Bevölkerung dort hat sehr schnell selbst organisierte Bildungsangebote zu „Urban Gardening“ (Deutsch: Städtisches Gärtnern) aufgesetzt, damit sich die Stadtbevölkerung selbst versorgen kann. Ein weiteres Beispiel kommt aus Australien: Dort gibt es sogenannte „Männerschuppen“. Hier haben sich Männer getroffen, um sich handwerklich gegenseitig zu unterrichten und dann „Schulter an Schulter“ nach Buschbränden oder Überschwemmungen nachbarschaftliche Hilfe zu organisieren. Am Beispiel Ukraine wird deutlich, dass in Krisensituationen sehr schnell auf dem Mikro-Level auch auf neue Themen eingegangen wird: Themen wie „Wie rede ich mit Kindern über Krieg“, „Was mache ich, wenn ich eine Nacht im Schutzkeller sitze“ oder „Erste Hilfe“ wurden sehr schnell von der Erwachsenen Bevölkerung im gegenseitigen Unterstützen gelehrt. Diese Themen, die plötzlich auftreten, werden v.a. auch die Netzwerke der Erwachsenenbildung und auch durch die vorhandenen Räume, sehr flexibel ausgebracht.
Die Auswahl der acht Länder wurde nach mehreren Kriterien durchgeführt: Es sollte zum einen an vielen Stellen (möglichst aus allen Kontinenten) ein Land vertreten sein. Hochentwickelte Länder (high-income countries) wurden weitestgehend ausgeschlossen (Australien ist dabei, wegen der Literalitätstrategie der Aborigine-Bevölkerung). Dann haben die Forscher:innen sehr stark danach geschaut, in welchen Ländern durch eigene Kontakte/Netzwerke und durch die DVVI, das Zusammenkommen einer Fokusgruppe wahrscheinlich erscheint.
Ein Land, in dem Lebenslanges Lernen schon sehr gut stattfindet, ist laut Werner Mauch, Südkorea. Dieses Land hat seit den 1950er Jahren eine politische Strategie, die besagt: Alle Altersstufen müssen Lernen. Und mit diesem politischen Willen haben sie sehr viele sinnvolle Strukturen geschaffen, die Südkorea zu einem Leuchtturm für Lebenslanges Lernen machen.
Stolpersteine und Hindernisse bei der Projektumsetzung
Besonders die Sprache war für Prof. Dr. Anke Grotlüschen eine große Hürde. Auf die unterschiedlichen Landessprachen waren sie vorbereitet, mussten jedoch während der Durchführung der Fokusgruppen und v.a. auch bei der Verschriftlichung feststellen, dass viele unterschiedliche, oft schwer zu verstehende Dialekte vorkamen. In Brasilien war es außerdem sehr schwierig, überhaupt Personen zu finden, die offen über dieses Thema reden konnten und wollten. Unter den populistischen Regierungen in Indien und Brasilien war eine große Frage: Wer kann und wer darf (offen) sprechen. Die Versicherung, dass die Teilnehmer:innen zu jedem Zeitpunkt absolut anonym bleiben, war an dieser Stelle sehr wichtig.
Persönliche Motivation
Für Werner Mauch war die HIV-Epidemie ein Startpunkt. Ihn trieb während seines Studiums und auch danach in seinen ersten Stufen auf dem Arbeitsmarkt, die Frage um: Wie kann man aus/durch eine solche Epidemie lernen. Wie können v.a. die betroffenen Erwachsenen lernen. Wie dieses Lernen zu organisieren ist, fand er von Anfang an spannend. Non-formale Bildung und informelles Lernen waren für Werner Mauch dabei die Schlüsselaspekte.
Die Motivation, sich mit einer globalen Erwachsenenbildung zu beschäftigen, generiert sich bei Frau Grotlüschen aus dem Wunsch, gedanklich wieder raus zu kommen und wieder international denken zu können – auch oder besonders wegen der Monate der Isolation während der Covid-19-Pandemie. Und es war auch der Wunsch vorhanden zu schauen, wie andere Erwachsenenbildung unter schwierigen Bedingungen umsetzen.
Analphabetismus und Rechtfertigungsdruck
Werner Mauch findet es unsäglich, wenn Menschen die Aussage tätigen, dass es in Deutschland keine Analphabeten gibt. Es gibt immer noch in vielen Köpfen die Ansicht, dass wer zur Schule gegangen ist, Lesen und Schreiben kann. Dies ist belegbar nicht der Fall. Dass sich diese Thematik aber so hartnäckig hält und immer wieder auf den Tisch kommt, ist anstrengend in der Arbeit im Bereich Lebenslanges Lernen. Dieser sogenannte funktionale Analphabetismus wird versucht in mehreren Studien sichtbar zu machen (hier z.B. LEO-Studie).
Anke Grotlüschen fällt auf, dass bei jedem Regierungswechsel wieder geklärt werden muss, dass ein Bildungsministerium kein Schulministerium ist. Dass auch andere Bildungsstrukturen hierin abgebildet sein müssen. Die politische Gleichsetzung von Schule und Bildung ist für die Personen, die im Sektor Erwachsenenbildung arbeiten, oft anstrengend.
Emotionale Situationen
Prof. Dr. Anke Grotlüschen gibt es Bestätigung, dass Regionalverbände, der Deutsche Volkshochschulverband und andere, die Studienergebnisse anfragen und somit zeigen, dass es wichtig ist, global angelegte Studien im Bereich Erwachsenenbildungsbereich durchzuführen. Die Studienergebnisse werden in der politischen Praxis direkt als Grundlage für Entscheidungen und Forderungen eingesetzt. Dass ist für Frau Grotlüschen auch eine persönliche Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein: „Es gibt einem ganz viel Auftrieb, wenn man merkt, dass das was wir machen, für jemanden wichtig ist“.
Für Werner Mauch war die Durchführung der letzten Jahreskonferenz unter seiner Schirmherrschaft mit eines der besonderen Erlebnisse in diesem Bereich. Besonders auch nach der Zeit mit Pandemie und Lockdown, grenzte es an ein Wunder, dass die Vertreter:innen von insgesamt fast 150 Ländern gemeinsam einen Aktionsplan verabschiedet haben.
Outro
Dies war eine Folge vom Bildungsschnack. Jeden Monat wird hier ein Forschungsprojekt der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg vorgestellt – wenn Sie wissen wollen, zu welchen Themen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler an unserer Fakultät forschen, wie genau sie das eigentlich machen und welche Relevanz das für Bildung und Gesellschaft hat, dann abonnieren Sie uns bei Spotify oder iTunes oder besuchen uns auf der Seite des Bildungsschnacks.
Danke für’s Zuhören, Tschüss und bis zum nächsten Mal!