Nachruf auf Prof. Dr. Rainer Kokemohr
23. März 2020, von Claudia-Dorothee Stecher

Foto: UHH/EW
Am 21. März 2020 ist Prof. Dr. Rainer Kokemohr im Alter von 79 Jahren an den Folgen einer Krebsoperation gestorben.
Rainer Kokemohr hat zunächst ein Lehramtsstudium an der PH Bielefeld absolviert und war einige Zeit als Lehrer tätig, bevor er ein zweites Studium der Erziehungswissenschaft, Philosophie und Germanistik in Bochum und Münster aufnahm, das er 1973 mit der Promotion über die Bildungsphilosophie des jungen Nietzsche abschloss. Nach einer Tätigkeit als Wissenschaftlicher Assistent bzw. als Wissenschaftlicher Rat und Professor an der PH Münster wurde er 1974 auf eine Professur für Allgemeine Erziehungswissenschaft an der Universität Hamburg berufen, die er bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2005 innehatte.
Einen wichtigen Schwerpunkt seiner Arbeit stellt die Entwicklung einer Bildungsprozesstheorie dar. Darunter ist der Versuch zu verstehen, bildungstheoretische bzw. -philosophische Reflexionen mit der qualitativ-empirischen Erforschung von 1980er Jahren begonnen, Verfahren der sozialwissenschaftlichen Biographieforschung für die Erziehungswissenschaft zu nutzen, und ist als Begründer der (dann von Winfried Marotzki so genannten) bildungstheoretisch orientierten Biographieforschung anzusehen.
Diese Bildungsprozessforschung hat Rainer Kokemohr vor allem in inter- oder besser transkultureller Perspektive betrieben und mit praktisch-bildungsreformerischem Engagement verbunden. So war er parallel zu Feldforschungsaufenthalten maßgeblich am Aufbau zunächst einer Reformschule, dann einer Lehrerbildungsanstalt und schließlich einer erziehungswissenschaftlichen Fakultät der Universität der Evangelischen Kirche in Mbouo (Kamerun) beteiligt und hatte nach seiner Emeritierung eine Professur (chair) an der National Cheng Chi University in Taipeh (Taiwan).
Mit der Ausarbeitung seiner Bildungsprozesstheorie war Rainer Kokemohr bis zu seiner schweren Erkrankung Ende letzten Jahres beschäftigt; ein umfangreiches Manuskript mit dem Titel „Der Bildungsprozess – ein ‚Verfahren der Einbildungskraft, einem Begriff sein Bild zu verschaffen’“, das der Weiterentwicklung seiner Theorie in Auseinandersetzung mit Kant und Wittgenstein gewidmet ist, stand kurz vor dem Abschluss.
Die Fakultät für Erziehungswissenschaft wird dem äußerst engagierten und der Fakultät sehr zugewandten Kollegen ein ehrendes Andenken bewahren.
Hans-Christoph Koller