Wie Studierende inklusives Lernen im Seminar selbst erprobenAngelika Paseka und Dennis Lopatta im Gespräch über das Universal Design for Learning
2. Februar 2021
Foto: pixabay/pexels
Mit dem Konzept des „Universal Design for Learning“ sollen Lerninhalte für alle zugänglich sein. Prof. Dr. Angelika Paseka und Dennis Lopatta aus dem Arbeitsbereich „Schulpädagogik & Schulforschung“ gestalten ihre Seminare so, dass die angehenden Lehrkräfte die Prinzipien selbst erleben.
Hier geht es zu einer Kurzfassung des Gesprächs im Newsroom der UHH.
Universal Design for Learning und inklusive Lernarrangements – was verbirgt sich hinter diesen beiden Begriffen?
Dennis Lopatta: Im Sinne eines weiten Inklusionsbegriffs sollte die Lehre und damit auch das Lernen für alle Teilnehmenden barrierefrei zugänglich sein. Grundsätzlich sollte niemand aufgrund personenbezogener Merkmale ausgeschlossen und beim Lernen ‚behindert‘ werden. Mit der Gestaltung inklusiver Lernarrangements versuchen wir, diesen Leitgedanken umzusetzen.
Beim Universal Design for Learning handelt es sich um ein aus dem amerikanischen Raum stammendes Konzept, das dabei helfen soll, die Zugänglichkeit zu Lerninhalten, Methoden und Materialen für alle Lernenden zu erhöhen und damit Barrierefreiheit weitgehend zu gewährleisten. Um dies zu erreichen, basiert das UDL auf drei Prinzipien:
1. Lernmotivation und Lernbereitschaft, das „Warum“? des Lernens,
2. Informationsaufnahme, das „Was?“ des Lernens und
3. Informationsverarbeitung und Darstellung von Lernergebnissen, das „Wie?“ des Lernens.
In diesen drei Bereichen gilt es, sich bereits bei der Planung von Lehre konsequent zu fragen, wo Barrieren für das Lernen auftreten könnten, und solche Barrieren möglichst von vornherein zu vermeiden. Das UDL ist also eine Art Werkzeug, dass bei der Umsetzung von Inklusion und der Gestaltung inklusiver Lernarrangements helfen kann.
Wie sind Sie selbst mit dem Ansatz in Berührung gekommen?
Angelika Paseka: Im Rahmen der „Qualitätsoffensive Lehrerbildung“ gab es vier Handlungsfelder, eines davon zum Thema Inklusion, in dem ich forschen konnte. Das Thema UDL wurde dort vorgestellt. Da dieses Konzept auf dem bereits genannten weiten Inklusionsbegriff beruht, schien es passend, UDL für die Gestaltung der sog. Grundlagenseminare, die der Arbeitsbereich ‚Schulpädagogik & Schulforschung‘ für alle Lehrämter anbietet, zu nutzen. Wir haben im Team gemeinsam überlegt, wie wir das umsetzen können. In den vier Jahren der Umsetzung ist unsere didaktische Expertise dadurch sehr gewachsen, aber auch Materialien wurden entwickelt.
Warum ist UDL für Sie in der Schulpädagogik interessant?
Lopatta: Das UDL ist gerade im Kontext des weiten Inklusionsbegriffs als Werkzeug zur Konzeption inklusiver Lernarrangements interessant. Das betrifft nicht nur die universitäre Lehre, sondern auch den schulischen Unterricht. Die Umsetzung von Inklusion in Schulen ist derzeit eine große Herausforderung und verunsichert viele Lehramtsstudierende, da die meistens damit noch wenig Erfahrung gesammelt haben. Indem wir die Lehre inklusiv gestalten, können Studierende Erfahrungen sammeln, barrierefreie Lehre erleben und auch selbst ausprobieren. Sie lernen also UDL nicht nur als theoretisches Werkzeug, sondern ganz praktisch kennen.
Wie versuchen Sie in der Lehre, diesen Ansatz zu vermitteln?
Paseka: Das UDL übernimmt in unseren Seminaren eine doppelte, wenn nicht sogar dreifache Rolle: Zum einen versuchen wir durch den Einsatz des UDL selbst den Ansprüchen inklusiver Lehre gerecht zu werden. Gleichzeitig vermitteln wir den Ansatz des UDL inhaltlich in den Veranstaltungen, um den Studierenden eine Möglichkeit an die Hand zu geben, in Bezug auf die Umsetzung inklusiver Lernarrangements selbst handlungsfähiger zu werden. Die dritte Rolle besteht darin, dass die Studierenden die Umsetzung an sich selbst erfahren. Konkret vermitteln wir in den Seminaren dabei zunächst, was inhaltlich hinter dem Konzept des UDL steht.
Die ersten Sitzungen werden von uns nach UDL-Prinzipien gestaltet, indem wir versuchen methodisch unterschiedliche Zugänge zu den Inhalten zu ermöglichen, um Lernmotivation hervorzurufen oder zu erhalten. Beispielsweise sollen die Studierenden über das Thema Lernstrategien nicht nur informiert werden, sondern mittels eines standardisierten Fragebogens zunächst ihr eigenes Profil zu den verwendeten Lernstrategien ermitteln und sich partnerweise über ihre Ergebnisse auszutauschen. Daran anschließend werden die Ergebnisse des Austauschs noch einmal gemeinsam im Plenum diskutiert und zentrale Erkenntnisse festgehalten. Im vergangenen digitalen Semester haben wir bei den asynchron angebotenen Lerneinheiten darauf geachtet, dass die Aufgabenstellung übersichtlich, mit Zielvorgaben und versehen mit Sprach- und Bildelementen gestaltet sind. Bei den Aufgaben waren Wahlmöglichkeiten eingebaut. So konnten die Studierenden beispielsweise zwischen verschiedenen Schwerpunkten bei den Aufgaben wählen oder auch wie sie die Ergebnisse darstellen, z.B. als kreativ gestaltete Abbildung, in Form eines kommentierten Bildes oder als Text. Damit sollten verschiedene Möglichkeiten der Informationsaufnahme bzw. Darstellung der Lernergebnisse angeboten werden.
In den weiteren Sitzungen dieser Lehrveranstaltung übernehmen die Studierenden selbst die Lehrrolle. Für der Gestaltung der eigenen Sitzung haben sie dabei – ganz im Sinne des UDL – wenig Einschränkungen, außer, dass das UDL bei der Vermittlung der Inhalte des Seminars berücksichtigt werden sollte. Durch diese Konzeption erfahren die Studierenden das UDL einerseits durchgehend als Zielgruppe, wenden es aber auch selbst an, was ihnen dann bei dem Transfer in ihre schulische Praxis helfen soll. Wichtig ist, dass die Studierenden nicht nur eigene Erfahrungen machen, sondern dass darüber – auf einer Metaebene – diese Erfahrung reflektiert wird, mit dem Ziel, die Prinzipien explizit und damit bewusst zu machen.
Sie haben die Lehre evaluiert: Was nehmen die Studierenden daraus, auch ganz praktisch, mit?
Lopatta: Wir konnten auf Basis von Befragungen und den Reflexionen in abschließenden Portfolios feststellen, dass das selbst eingeschätzte Wissen der Studierenden über UDL gestiegen ist. Speziell in den Grundlagenseminaren, die im Wintersemester stattfinden, haben die Studierenden einen Transfer für das daran anschließende vierwöchige Praktikum erkannt. Zudem haben sie vor, ihr Wissen, Können und ihre eigenen Erfahrungen in der Schulpraxis zu nutzen und zu erproben. Ein Transfer hat also stattgefunden. Dabei bleiben die Studierenden aber kritisch und hinterfragen die Umsetzung. Grundsätzlich zeigt sich, dass die Studierenden die Auseinandersetzung mit dem Konzept im Seminar als Sensibilisierung im Sinne eines Bewusstseins für Heterogenität, auch der eigenen, wahrnehmen. Gleichzeitig verunsichert die Offenheit des Konzepts die Studierenden. Sie wünschen sich daher zusätzlich zur eigenen Anwendung in den Seminaren weitere Beispiele für die Umsetzung im schulischen Unterricht. Insgesamt kann die Implementierung von UDL in den Seminaren jedoch anhand der erhobenen Daten als positiv eingestuft werden.
Was erfordert es, um UDL in die Planung von Lehr-Lern-Settings einzubeziehen?
Paseka: Folgende Kompetenzen sind erforderlich:
1. Wissen um die Ziele und die (hochschul)didaktischen Prinzipien des UDL,
2. Können, um Lehr-Lern-Settings entsprechend zu planen sowie Materialien und Instrumente zu entwickeln bzw. herzustellen.
Es braucht dafür aber auch eine grundlegende befürwortende Haltung gegenüber Inklusion und ein Einlassen auf den Paradigmenwechsel: nicht die Studierenden haben Barrieren, sondern Barrieren werden hergestellt. Gleichzeitig ist es im Sinne von Organisationsbewusstheit notwendig zu überlegen, wo und in welchen Lehrveranstaltungen welche Facetten von UDL umgesetzt werden können. Hier hilft Kooperation – im Arbeitsbereich, aber auch über Arbeitsbereichs- und Fachbereichsgrenzen hinweg, um sich abzustimmen und voneinander zu lernen.
Vielen Dank für das Gespräch!
(das Interview führte: Bente Gießelmann)
Zu den Personen:
Prof. Dr. Angelika Paseka: Professur für Erziehungswissenschaft, Schwerpunkt Professionsforschung und Professionsentwicklung
Dennis Lopatta: wissenschaftlicher Mitarbeiter für die Lehre im Arbeitsbereich Schulpädagogik & Schulforschung