Interview mit Alexander von Humboldt-Professorin Ingrid Piller„Ich wünsche mir, dass unsere Arbeit dazu beiträgt Sprachbarrieren abzubauen“
23. Mai 2025

Foto: Alexander von Humboldt-Stiftung/David Ausserhofer
Prof. Dr. Ingrid Piller hat mit einer Alexander von Humboldt-Professur Deutschlands höchstdotierten Forschungspreis erhalten. Seit Januar 2025 ist sie an der Fakultät für Erziehungswissenschaft der Universität Hamburg tätig. Vorher war die Soziolinguistin Professorin für Angewandte Sprachwissenschaft an der Macquarie University im australischen Sydney. Sie ist schon langjähriges externes Mitglied des fakultären Forschungszentrums LiDS (Literacy in Diversity Settings) und hat im April die Leitung des Zentrums übernommen. Wir haben sie nach ihren Plänen an der Universität Hamburg gefragt.
Liebe Frau Piller, Sie arbeiten ganz grob gesagt zu Spracherwerb und Mehrsprachigkeit im Kontext von Migration und Globalisierung. Welche Fragen stehen derzeit im Fokus Ihres wissenschaftlichen Arbeitens?
Wenn man im Erwachsenenalter eine neue Sprache im echten Leben lernt, dann muss man mit der neuen Sprache gleichzeitig schon konkrete Sachen machen. Jeder Sprechakt wird so zum Test für die eigene Person. Das ist nicht einfach. Man muss sich damit abfinden, dass man sich schnell lächerlich machen kann; und manchmal steht richtig was auf dem Spiel – wie im Jobinterview, bei der Wohnungsbewerbung oder im Arztgespräch.
Mich interessiert also, wie Sprachlernen und Integration zusammenhängen. In meinem neusten Buch Life in a New Language (Oxford University Press, 2024) beschreiben meine Mitautorinnen und ich die Sprachlern- und Integrationserfahrungen von 130 Migrant:innen, die zwischen 1970 und 2013 aus 34 Ländern nach Australien gekommen sind.
Die Alexander von Humboldt-Stiftung hat anlässlich der Preisverleihung einen kurzen Film über meine Forschung unter dem Titel „Wie lernen wir Sprachen?“ herausgegeben, der das in zwei Minuten kurz erklärt.
Sie sind seit langem externes Mitglied von LiDS und gehören zu den Projektleiterinnen des Next Generation Literacies Network. LiDS soll Nucleus des interdisziplinären Potenzialbereichs „Languages and Literacies“ werden. Was sind Ihre Pläne als zukünftige Leitung des Forschungszentrums LiDS?
An der Universität Hamburg wird seit Jahrzehnten wegweisende Forschung zu Mehrsprachigkeit und sprachlicher Bildung gemacht und meine Forschung fügt sich hier durch den Fokus auf sprachliche Bildung in außerschulischen Kontexten und im Lebensverlauf ergänzend ein. Ziel des Potenzialbereiches wird es sein, all die Projekte im Bereich sprachliche Diversität in sozialen Kontexten noch besser zu bündeln.
Inwieweit werden Sie auch mit anderen Fachbereichen der UHH kooperieren?
Der Potenzialbereich „Languages and Literacies“ wird von der Erziehungswissenschaft und den Geisteswissenschaften gemeinsam getragen. Darüber hinaus ist Sprache ja in allen Lebensfeldern und Disziplinen relevant. Ohne Kommunikation geht nichts. In Macquarie ist die sprachwissenschaftliche Abteilung in der medizinischen Fakultät untergebracht. Den Wert interdisziplinärer Zusammenarbeit über sehr weit voneinander entfernt scheinende Bereiche weiß ich daher aus persönlicher Erfahrung zu schätzen.
Sie haben den Blog „Language on the Move“ mitgegründet. An wen richtet sich das Format und welche Erfahrungen machen Sie mit dieser Art der Wissenschaftskommunikation?
Language on the Move gibt es seit 2009, um Forschung zur interkulturellen Kommunikation und Mehrsprachigkeit einem breiteren Publikum zugänglich zu machen. Wir haben einen Blog, einen Podcast, digitale Ausstellungen, Interaktionsforen und vieles mehr.
Pro Jahr kommen um die 500.000 Leser:innen zu uns. Es ist ein Sisyphusprojekt, aber macht unfassbar viel Spaß und hat unser internationales Team zusammengeschweißt.
Welche internationalen Kontakte und Kooperationen sind für Sie besonders wichtig oder auch hinsichtlich der Forschung zu Mehrsprachigkeit in den nächsten Jahren vielversprechend?
Ich bin weiterhin mit der Macquarie University verbunden, wo ich nach wie vor Forschungsprojekte zu Sprachbarrieren im Gesundheitswesen und zu Spracherhalt in mehrsprachigen Familien betreue. Diese enge Partnerschaft ist Teil der strategischen trilateralen Beziehung, die die UHH mit der Macquarie und auch der Fudan-Universität in Shanghai verbindet.
Was haben Sie vor, in Hamburg hinsichtlich Transfer und gesellschaftlichem Impact umzusetzen?
Ich wünsche mir, dass unsere Arbeit dazu beiträgt Sprachbarrieren abzubauen. Ob jemand Zugang zum Bildungswesen, zum Arbeitsmarkt oder zur Gesundheitsversorgung hat, darf nicht von Deutschkenntnissen abhängen.
Von Sydney nach Hamburg – worauf freuen Sie sich in Hamburg und was werden Sie vermutlich aus Sydney vermissen?
Den Frühling hier zu erleben, fand ich sehr schön – wie alles zu blühen und zu grünen anfängt und die Vögel zurückkommen, ist einfach toll. Die Natur um Sydney ist eine andere, der ich mich aber auch sehr verbunden fühle. Am meisten vermisst man immer Menschen und obwohl digitale Kontakte einfach geworden sind, vermissen meine Familie und ich unseren sozialen Kreis in Sydney schon sehr. Erfreulicherweise verbringt eine enge Kollegin aus Macquarie, Dr. Loy Lising, gerade ihr Forschungsfreisemester hier am LiDS, was auch meine Eingewöhnung erleichtert.
Willkommenssymposium
Am 16. Mai 2025 wurde Alexander von Humboldt-Professorin Ingrid Piller im Rahmen eines Willkommenssymposiums des fakultären Forschungszentrums Literacy in Diversity Settings (LiDS) offiziell an der Universität Hamburg willkommen geheißen. Es gibt einen Nachbericht über das Symposium.