Junge ForschungWarum sind ungewisse Situationen eine Chance für den Sportunterricht?Ein Gespräch mit Ole Stabick
29. Oktober 2025

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Im Interview erklärt Ole Stabick, warum Ungewissheit kein Nachteil für das Gelingen eines aktivierenden Sportunterrichts sein muss. Im Gegenteil: Wer Ungewissheit für sich zu nutzen weiß, kann Schüler:innen aktivieren, sie zur kreativen Lösungsfindung motivieren und einen echten Mehrwert für Schüler:innen generieren.
Zur Reihe „Junge Forschung“
Woran arbeiten eigentlich junge Erziehungswissenschaftler:innen? Und wo können sie aus ihrer Forschungsarbeit interessante Impulse für die Praxis einbringen? In dieser Reihe stellen wir junge Forschende aus unserer Fakultät und ihre Arbeit vor - und zwar im Interview mit unserem Leiter der Graduiertenschule, Dr. Markus Friederici.
Worum geht es in deiner Arbeit?
In meiner Dissertationsschrift verfolge ich die Annahme, dass ein Sportunterricht, der das Phänomen Ungewissheit didaktisch wendet, als eine konsequente, teilweise auch zugespitzte Umsetzung eines kognitiv aktivierenden Unterrichts betrachtet werden kann. Dabei geht es darum, wie ein Sportunterricht ausgelegt und umgesetzt werden kann, der das Phänomen Ungewissheit als Bildungschance für Schüler:innen versteht, und was das für das Handeln von Sportlehrpersonen bedeutet. Im erziehungswissenschaftlichen Ungewissheitsdiskurs wird das Phänomen Ungewissheit als konstitutives Element von Unterricht gesehen. Es geht u. a. darum, dass Lehrpersonen nicht wissen können, was im Prozess des unterrichtlichen Handelns passieren wird. Sie müssen dementsprechend situativ-flexibel reagieren, um Lern- und Bildungsprozesse bei den Schüler:innen auch bzw. gerade in ungewissen Momenten zu ermöglichen. Der aus der empirischen Unterrichtsforschung stammende Diskurs zur Basisdimension der kognitiven Aktivierung wiederum hat den Anspruch, vertiefte Lernprozesse bei den Schüler:innen auszulösen, die über eine reine Wissensvermittlung hinausgehen. Die Diskurse zielen also grob auf eine ähnliche Zielperspektive ab. In meiner Dissertationsschrift stelle ich eine konzeptionelle Verknüpfung zwischen den Diskursen zu Ungewissheit und kognitiver Aktivierung her.
Welche Ergebnisse hast du erhalten?
Mein kumulatives Dissertationsvorhaben setzt sich aus drei Publikationen zusammen, die jeweils eigene Ergebnisse liefern. Die erste Publikation arbeitet aus sportpädagogischer Perspektive den Ungewissheitsdiskurs anhand einer systematischen Überblicksarbeit auf. Zentrales Ergebnis ist, dass Ungewissheit einerseits eine Bildungschance für Schüler:innen im Sportunterricht bereithalten kann und es andererseits eine Herausforderung für Sportlehrpersonen ist, eben mit dieser Ungewissheit umzugehen. In der zweiten Publikation wird die konzeptionelle Ebene des sportpädagogischen Aktivierungsdiskurses mit der Perspektive von Sportlehrpersonen abgeglichen. In der durchgeführten Interviewstudie konnten mit einer inhaltsanalytischen Herangehensweise zentrale Kriterien eines aktivierenden Sportunterrichts aus Sicht von Sportlehrpersonen herausgearbeitet werden. Die beiden Publikationen bilden das hermeneutische Kernstück für die konzeptionelle Verknüpfung der Diskurse. Die dritte Publikation greift die Erkenntnisse auf und skizziert anhand einer hochschuldidaktischen Seminarkonzeption Konsequenzen für die Sportlehrpersonenbildung.
Welche Relevanz haben deine Ergebnisse für konkrete Praxisfelder?
Die Ergebnisse können erst ihre volle Relevanz entfalten, wenn sie Einzug in die sportunterrichtliche Praxis erfahren. Dies kann über die universitäre Lehre als auch über Fortbildungsformate für Sportlehrpersonen geschehen, was wir zum Teil schon über entsprechende Formate bedienen. Ziel ist es also, mit den Erkenntnissen einen modernen und zeitgemäßen Sportunterricht zu etablieren. Außerdem wird im November ein Themenheft dazu in der Sportpädagogik erscheinen, in dem konkrete Unterrichtsbeispiele aufgeführt sind.
Gibt es eine Quintessenz deiner Arbeit?
Kurz und knapp: Die konzeptionelle Verknüpfung der Diskurse untermauert und bestärkt die Annahme, dass in einem (kognitiv) aktivierenden Sportunterricht, der eine elaborierte Auseinandersetzung mit dem Unterrichtsgegenstand anstrebt, das Phänomen Ungewissheit eine zentrale Rolle für Lern- und Bildungsprozesse spielt.
Was würde der Forscher Ole dem Lehrer Ole raten?
Liebes Zukunfts-Ich: Dein Sportunterricht wird NIE nach Plan verlaufen. Stell dich also darauf ein, dass Dinge von der Planung abweichen oder völlig aus dem Ruder laufen. Das ist normal. Die hohe Kunst ist es dann, mit diesen Momenten produktiv umgehen zu können, um einen (Bildungs-)Mehrwert für deine Schüler:innen (und dich) zu generieren. Außerdem solltest du dich trauen, deinen Sportunterricht in ausgewählten Phasen inhaltlich und strukturell zu öffnen, um Ungewissheit inhaltlich für die Schüler:innen erfahrbar werden zu lassen.

